Das lange Märchen von der Freundschaft
Christine Höppners
Bildergeschichten
Man kann seine Geschichte laut erzählen, rechthaberisch,
nach dem Motto: hier red nur ich. Daß es auch ganz anders geht, zeigen die
Bilder von Christine Höppner. Wie sie das macht, ist deutlich zu sehen, schwer
zu beschreiben. Was so beredt ohne Worte auskommt, ist schwer in Worte zu
übersetzen.
Ich nehme mir einen Begriff zuleihen, der aus einem
anderen Kunstbereich stammt, aus der Musik, und versuche es zuerst mit dem
Ausdruck Harmonie. Ich beobachte in diesen Bildern eine alles durchströmende
Harmonie: der Figuren, der Formen, der Farben, auch der Geschichten. Nun
bedeutet Harmonie dem Wortsinn nach zuerst nur: daß etwas zusammengefügt ist
Tatsächlich läßt sich die Künstlerin nicht lumpen: ein Panoptikum von Tieren,
Menschen, Pflanzen und noch manches mehr breit sich auf diesen Zeichnungen und
Aquarellen vor uns aus. Dieses pure Nebeneinander meinen wir natürlich nicht,
wenn wir von Harmonie reden; ein verzanktes Paar ist auch beisammen, paßt sogar
auf makabre Weise zusammen, weil Haß dem Gegenhaß zahnradscharf antwortet. Können
Sie sich Zank, Gehässigkeit, Konkurrenz, Besserwissen, Prahlerei,
Großspurigkeit im Zusammenhang mit diesen Bildern vorstellen? Wie also entsteht
eine so intensiv gewebte Harmonie auf diesen Blättern?
Symphonie, Polyphonie, Mehrstimmigkeit entsteht erst,
wenn viele Stimmen zum Zug kommen, und wenn dabei keine dominiert, keine den Kürzeren
zieht. Denn zwei Gefahren fürchtet die Harmonie: Mißklang
und Langeweile. Niemand und nichts besteht in diesen Bildern auf ein Solo; das
Wort hat der Chor.
Nehmen wir nun einen Begriff aus der Welt des Theaters
und fragen wir nach der Besetzung dieser Geschichten, nach dem Stil ihrer
Inszenierung, nach dem Bühnenbild. Was für ein Genre haben wir eigentlich vor
uns? Wir sind im Märchen, das zeigt schon der kürzeste Blick, - oder im Traum?
Gehen wir näher heran: Woraus besteht der Wortschatz, das
Bildvokabular? Köpfe, Leiber, meistens von Frauen, immer nur angedeutet, auch
die von Tieren, wie Echos darauf. Reichlich Tiere, die aussehen als ob sie
sprechen könnten, jedenfalls verstehen sie alles, sie gehören dazu, sind
Freunde. Und überall pflanzliche Fläche mit Farbe gefüllt. Nichts weist auf ein
Lineal hin, noch weniger auf einen Zirkel. Nichts ist konstruiert, alles trägt
das Kennzeichen von Handarbeit, ist Handschrift. Durch den Verzicht auf
Perspektive sind Schwerpunkte vermieden, nichts gängelt den Blick. Es gibt kein
vorne, kein hinten, wohl aber strebt alles von unten nach oben, wies eben
wächst in der Natur. Alles schlängelt sich, weht, wogt, - reichlich
Unterwasserjägerlatein.
Bleibt die Frage: Warum so gar keine Geometrie, nichts
Mechanisches, warum bleiben Technik und Großstadt ganz und gar unerwähnt? Etwa
nicht Märchen, sondern Utopia? Vision eines besseren Lebens, wo der Tiger des
Menschen Freund ist und der Mensch nicht länger dem Menschen ein Wolf? Sind wir
zur Probe ins Paradiesgärtchen versetzt?
Und noch eine Frage: Wie kommt nun das, was im Bühnenraum
der farbigen Blätter inszeniert wird über die Rampe? Will es das überhaupt? Ich
sprach vom Chor – ist er in sich selbst versponnen? Ein sich selbst genügender
Klüngel? Ja und nein. Was fehlt noch, wenn die geliebten Freunde da sind?! Trotzdem:
Was als Prinzip in den Bildern gültig ist gilt genau so für außen: Der Zauber
im Bild ist Angebot an den Betrachter, sich ebenfalls verzaubern zu lassen. Mitzuspielen,
mitzuträumen, die angebotenen Fäden weiterspinnen, seine eigne Geschichte
hineinzuweben. Der Betrachter soll und kann das, was er sieht, mit dem, was er
fühlt, ergänzen.
Santa Madonna, ist das nicht zuviel des Guten? Ist ja
nicht das Leben, ist ja Kunst
Georg Eichinger
7.6.03